Eine deutsche Region versucht Mehrweg mit Wein
Deutschland kann Mehrweg. Oder doch nicht? Für Wein gibt es noch keine flächendeckenden Lösungen – aber erste Versuche in den Weinanbaugebieten Baden-Württembergs.
2019 wurden in Deutschland 41.8 % der Getränke in Mehrwegflaschen verkauft. Das ist nicht nur ein Vielfaches mehr als in der Schweiz – 2019 hat der Mehrweganteil in Deutschland auch seit vielen Jahren zum ersten Mal wieder zugenommen. Und es deutet viel darauf hin, dass die deutschen Konsument/innen auch in Zukunft mehr Mehrweg-Glasflaschen kaufen können. Ist in Deutschland in Bezug auf Mehrweg also alles gut?
Leider nein. Die oben genannte Mehrwegquote gilt nämlich nur für Erfrischungsgetränke, Bier, Wasser und alkoholische Mischgetränke. Bei allen übrigen Getränken liegt der Mehrweganteil bei 4.6 %. Dazu gehört auch der Wein. Hier dominieren Einweg-Glasflaschen den Markt. Da Deutschland weltweit der viertgrösste Weinverbraucher ist, werden durch den Weinkonsum – und das ständige Einschmelzen und Neuproduzieren der Glasflaschen – enorme Mengen Energie verbraucht. Weshalb gelingt es selbst dem Mehrweg-Pionier nicht, mehr Weine in Mehrweg-Flaschen zu verkaufen? Zumindest für die Weine, die in Deutschland produziert werden, wäre das doch theoretisch gut möglich.
Kaum deutsche Weine in Mehrwegflaschen
Die Gründe sind vielfältig. Drehverschlüsse und selbstklebende Etiketten erschweren das Waschen, die Logistik ist aufwändig und grössere Investitionen zum Beispiel in Waschanlagen wären notwendig. Der Hauptgrund besteht aber darin, dass zu viele unterschiedliche Weinflaschen auf dem Markt sind: Jedes Weingut will seine Weine in möglichst individuelle Flaschen vermarkten. Diese grosse Vielfalt verhindert eine effiziente Sammlung, Sortierung und Wiederverwendung der Flaschen.
Das Problem ist bekannt und es gibt erste Lösungsversuche: In der Weinregion Württemberg wurde deswegen eine standardisierte 1-Liter-Mehrwegflasche entwickelt, in die ein Teil des regionalen Weins abgefüllt wird. Die Umstellung auf eine Standartflasche hat den CO2-Fussabdruck des Weinsektors in Württemberg verringert. Ein guter Weg, allerdings braucht es noch Anpassungen. Das zeigt der Umsatzrückgang dieser Weine der letzten Jahre. Im Herbst 2022 wurde in Baden-Württemberg deshalb ein Projekt zur Einführung eines Mehrweg-Kreislaufs für 0.75-Literflaschen initiiert. Hintergrund: Kund/innen verbinden die 1-Liter-Weinflasche tendenziell mit minderwertigem Wein.
Harmonisierung ist möglich
Knapp 20 Projektpartner/innen – bestehend aus Produzent/innen, Händler/innen, Waschfirmen und Wissenschaftler/innen – arbeiten zusammen. Sie wollen sie sich auf maximal vier Flaschenformen für das Projekt einigen. Diesen Flaschen sollen 2023 in der Praxis getestet werden.
Dieses Projekt kann wertvolle Erkenntnisse für ähnliche Initiativen liefern – auch in der Schweiz. Wir werden es im Auge behalten. Gerade in Zeiten, in welchen Energie und Rohstoffe teuer sind und Mehrweg auch finanziell interessanter wird, zeigt es: Wenn der Wille besteht, ist eine Zusammenarbeit zwischen den vielen Akteur/innen und konkurrierenden Weingütern möglich.
Text: Michael Müller
Bilder: Weinheimat Württemberg