Mehrwegboom in Österreich – Der Detailhandel positioniert sich

Es gibt wieder mehr Mehrweg in Österreich. Das liegt an den sich ändernden Rahmenbedingungen (siehe «Wie Österreich den Getränkehandel revolutioniert»), aber auch an motivierten Detailhändlern. Was die Schweizer Detailhändler von unseren Nachbarn lernen können.

Mehrweg hat in Österreich Tradition: Im Jahr 1995 wurden 80 % der Getränke in Mehrwegflaschen verkauft. Danach ging der Trend aber in Richtung Einwegflasche. Der Anteil an Getränken in Mehrwegflaschen sank bis ins Jahr 2000 auf 19 %. Doch in den letzten Jahren ist eine Trendwende zu erkennen. Ein Blick in die Getränkeregale der österreichischen Läden zeigt: Es werden wieder mehr Getränke in Mehrweg-Glasflaschen angeboten.

Mit der Milch fing alles an

Mitverantwortlich für diese Zunahme sind zwei grosse österreichische Detailhändler. Die REWE Group und SPAR begannen im Jahr 2018 Bio-Milch in Glasflaschen zu verkaufen – zunächst nur in Einweg-Flaschen. Das kam gut bei der Kundschaft an, vor allem der unverfälschte natürliche Geschmack. In einem nächsten Schritt führten sie 2020 dann das von Anfang an geplante Mehrwegsystem ein: Die nötigen Investitionen für eine Umstellung schienen sich für alle Beteiligten zu lohnen. SPAR sprach damals vom einen «überwältigenden Zuspruch» für die Milch in der Glasflasche.

Erfolgreiche Positionierung dank Mehrweg

Während es nach diesem Erfolg in Bezug auf Mehrweg um REWE Österreich ruhig wurde, baute SPAR sein Angebot konsequent weiter aus. Der Detailhändler positionierte sich zunehmend im Sinne der Kreislaufwirschaft: bekennt sich zum regionalen Mehrwegsystem, will Transportwege kurz halten und zur Vermeidung von Plastik beitragen. Und das mit Erfolg.  Der Umsatzanteil von Bier, Mineralwasser, Fruchtsäften und Limonaden in Mehrweggebinden im Vergleich zu Einweg war daraufhin bei SPAR deutlich höher als im Branchen-Durchschnitt. Dies führte dazu, dass weitere Produzent/innen in neue Abfüllanlagen investierten und SPAR heute neben Bier, Wein und Milchprodukten auch Apfel- und Orangensaft, Cola, Kräuterlimonade und Sodawasser der Eigenmarke in Mehrwegflaschen anbieten kann.

SPAR ist jedoch nicht das einzige Unternehmen, welches sich in Österreich als Mehrweg-Pionier positioniert. Auch Vöslauer, der Marktführer im Mineralwassermarkt, baut sein Mehrwegangebot seit Jahren aus. Das Unternehmen führte bereits 2014 eine 1-Liter-Mehrweg-Glasflasche ein und seit 2019 finden Konsument/innen das niederösterreichische Mineralwasser auch in 0.5-Liter-Mehrweg-Glasflaschen in den Regalen der Läden.

Ähnliche Entwicklung in der Schweiz?

Erste Erfahrungen aus unseren Pilotprojekten deuten darauf hin, dass sich auch in der Schweiz ein ähnlicher Trend abzeichnen könnte. Gemäss Hervé le Pezennec des Réseau Consignes (Netzwerk zur Einführung eines Mehrwegsystems in der Romandie) fragen auch Schweizer Kund/innen vermehrt nachhaltige Verpackungen nach. Milchproduzent/innen, die Mehrwegflaschen nutzen, könnten ihren Umsatz zudem erheblich steigern (mehr dazu in unserem Kurzvideo). Dies hat auch Coop erkannt: Der Detailhändler bietet seit November 2022 im Rahmen eines  Pilotversuchs in ausgewählten Filialen Bio-Milch in Mehrweg-Glasflaschen an.

Gut möglich, dass sich die Geschichte des österreichischen Mehrwegbooms auch in der Schweiz wiederholt. Man darf gespannt sein, ob andere Schweizer Detailhändler Coop die Vorreiterrolle als Schweizer Mehrweg-Pionier überlassen, oder ob Coop selbst die Chance nutzt, sich mit Mehrweg als Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit zu positionieren.

Text: Michel Müller